Montag, 30. Dezember 2013

Neujahrsgeschichte

Der Mann der die Abschaffung des Geldes verpasste
von Hans Steinle

Es wohnte ein alter Mann allein in seinem kleinen Häuschen das mit einem grossen Garten umgeben war. Das Häuschen hatte er vor etwa 50 Jahren selbst erbaut. Er war Landschaftsgärtner und hatte auch handwerkliche Begabungen. 

In den letzten dreissig Jahren hat er sich immer mehr von der Welt abgeschlossen, denn er verdiente nie viel Geld und war ein typischer Einzelgänger. Er hasste das Geld buchstäblich und vielleicht kam es deswegen nicht zu ihm. So sahen es wenigsten die anderen mit denen er ab und zu noch Kontakt hatte. Er jedoch lebte aus seinem Garten. Sein Garten Eden wie er ihn liebevoll nannte. Er liebte auch seine Pflanzen und seine Hühner und die altkluge Hauskatze die ihm Gesellschaft leistete. Einen Hund konnte er nicht brauchen.  Diese graben zuviel Löcher und als lebenden Pflug konnte man ihn nicht abrichten. 

Er hatte keinen elektrischen Strom. Er wusste ohne ihn zu leben. Aber einen Ziehbrunnen. Denn Wasser ist seiner Meinung nach unverzichtbar. Besonders mit dem Garten. Ein kleines Akkuradio liess er ab und zu spielen. Aber nur einen Kanal der die Musik aus seiner Jugendzeit abspielte. Bei Nachrichten schaltete er den Apparat ab. Ihn interessierte die durch das Geld verdorbene Welt nicht mehr. Eine kleine Rente hielt ihn über das Wasser. Denn Seife, ein bisschen Mehl und sonstige Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs musste er zu seinen eigenen Gartenprodukten hinzukaufen. 

Jedes Jahr einmal zum Neujahrstag ging er in die Stadt zu einem Tabakgrosshändler um ein paar Kilo Pfeifentabak zu kaufen. Dieser Vorrat reichte dann bis zum nächsten Neujahrstag. Das Pfeiffenrauchen war sein einzigster Luxus. Und jeden Abend beim Sonnenuntergang rauchte er ein Pfeiffchen, entspannte sich und dachte dabei nach wie die Welt ohne Geld aussehen würde. Heute, am Neujahrstag musste er aber noch in die nahegelegene Stadt um sich seinen Tabak zu besorgen. Er ging zum Nahverkehrsbahnhof und wollte eine Fahrkarte herausziehen. Aber wo war der Fahrkartenautomat? Er fragte, aber keiner nahm ihn ernst und sie lachten ihn aus. Der Zug nahte und er stieg unbezahlt ein. Was blieb ihm anderes übrig. Es fuhr nur jede Stunde ein Zug.

Er fühlte sich nicht wohl als vermeintlicher Schwarzfahrer. Aber er überstand unbehelligt die Fahrt. Erleichtert stieg er aus und wandte sich Richtung Tabakwarenladen. Etwas war anders auf seinem Fussweg zu dem Laden. Etwas fehlte in den Strassen. Alles war noch sauber wie immer. Oder vielleicht sogar noch sauberer und schöner? Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die schrillen Reklameschilder fehlten. Nun, dies war erfreulich, so dachte er bei sich. Seit fünfzig Jahren schon kaufte er sich regelmässig zum Neujahrstag seinen Tabak und der Händler kannte ihn und war immer sehr freundlich zu ihm.

"Grüss Gott, lieber Anton, wie immer"? "Ja, Hannes, wie immer". Der Laden war noch genau so eingerichtet wie vor fünfzig Jahren, nur dass der Sohn den Laden von seinem Vater übernommen hatte. Anton, so hiess der alte Landschaftsgärtner nämlich, stellte allerdings weniger Waren fest. Die Regale waren leerer und das Sortiment ausgedünnt. "Was ist denn mit deinem Laden los, Hannes, läuft er nicht mehr"? "Wie, was, warum"? "Weil er so leer aussieht". "Na, du bist gut", antwortete Hannes, "die Leute wollen nur noch Qualität, es kostet ja nichts". Anton nahm das "nichts kosten" gar nicht so richtig wahr und ging deshalb weiters nicht darauf ein. "Was bin ich dir schuldig"? "Nichts, du weisst doch, dass es kein Geld mehr gibt, oder willst du mich verkohlen"? "Ich glaube lieber Hannes, du bist derjenige der einen verkohlt". Damit nahm er das Paket mit dem Tabak und wandte sich unbezahlt zur Türe. Er wartete allerdings vergeblich, dass der Tabakladenbesitzer ihn zurückrufen würde und sich das Ganze als geschmackloser Witz herausstellen würde. Nichts geschah jedoch. "Also, Hannes, ein gutes Neues Jahr wünsche ich dir noch, bis zum nächsten Jahr, tschüss"! "Tschüss, mein Lieber, auch ich wünsche dir alles Gute, bleib gesund".

Anton schritt durch die Ladentüre die sich fast lautlos hinter ihm schloss. Nicht ohne dass ihm auffiel, dass die Ladenglocke nicht mehr schrillte. Frech schritt er weiter. Aber niemand rief ihn zurück. Etwas stutzig geworden fasste er den Entschluss noch etwas im nächsten Lebensmittelgeschäft einzukaufen. Hatte er doch jetzt eine Menge Geld übrig. Denn ein Jahresvorrat an Tabak hatte schon seinen Preis. Wenn er auch grosszügigen Rabatt bekam. Er verstand den Ladenbesitzer nicht mehr. Gehört wohl in die Klapsmühle. Na, mir soll es recht sein, dachte er bei sich vergnügt.

So schritt er in guter Stimmung in den Lebensmittelladen. Die Einrichtung war wie immer geordnet und gepflegt. Aber auch hier stellte er eine ausserordentliche Verdünnung des Sortiments fest. Und die Preisschilder fehlten auch. So langsam glaubte Anton auf dem falschen Planeten angekommen zu sein. Nun gut. Er nahm einige Sachen in den Korb von denen er dachte, dass sie nicht allzu teuer sind und suchte dann nach der Kasse. Wie, was, ist da denn keine Kasse? "Hallo", rief er, "ist da jemand"? "Ja, ich komme, was ist den nun schon wieder"? Das sind aber unhöfliche Verkäufer, dachte Anton bei sich. Kein Wunder lief der Laden nicht. Denn scheinbar konnte der Inhaber keine Waren mehr einkaufen. So leer sahen die Regale aus.

"Ich möchte bezahlen, bitte, wo muss ich denn da hin"? " Bezahlen, soll das ein Faschingsscherz sein"? "Äh...nein", stotterte Anton. "Dann verschwinden sie endlich, mein Essen brennt mir an". Anton stürzte entgeistert zur Türe und floh regelrecht diesem verrückten Ort. Er verstand die Welt nicht mehr. Ausgerechnet er , der sich immer eine Welt ohne Geld gewünscht hatte. Oh ist das Leben schwer zum begreifen. Aber er gewöhnte sich schnell an die Umstellung. Binnem Kurzem hatte er Strom und eine Waschmaschine. Da er ein Alter erreicht hatte, wo er keine zwei Stunden am Tag bei fünf Tagen in der Woche irgendeine Tätigkeit ausüben sollte, konnte er für den Rest seiner Tage ruhig und glücklich in seinem Garten verbringen. Und er freundete sich sogar mit seiner verwittweten Nachbarin an, die auch einen grossen Garten besass, der an den Seinen anschloss. Das Leben ohne Geld...Wahnsinn!!!


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